Sonntag, 24.01.2021

Zur Coronavirus-Pandemie: was uns die Zahlen sagen und nicht sagen

Seit dem Frühjahr 2020 veröffentlicht das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin jeden Morgen die absolute Zahl der Menschen, die innerhalb der letzten 24 Stunden neu mit einer SARS-CoV-2-Infektion diagnostiziert worden und die im Zusammenhang mit dieser Infektion in diesem Zeitraum verstorben sind. Zusätzlich werden die Gesamtzahl aller bekannten Infektionen seit Beginn der Pandemie und die Gesamtsumme der Todesfälle genannt. Presse und andere Medien übernehmen diese Zahlen in ihren Mitteilungen oder führen eigene Listen, die sich meist aber nur unwesentlich von den RKI-Daten unterscheiden.

Diese absoluten Zahlen werden dann regelmäßig mit ähnlichen Daten aus anderen europäischen Ländern oder den USA verglichen. Dabei wird oft anhand dieser Zahlen postuliert, wie schlimm oder weniger schlimm die Pandemie im jeweiligen Land verläuft. Nur bedingt können sie jedoch das große Leid der Betroffenen und ihrer Familien wiedergeben, welches sich kaum jemals in Statistiken zum Ausdruck bringen lässt.

Allerdings sind sie in dieser Form nicht geeignet, den Verlauf der Pandemie sinnvoll zu beurteilen. Prof. Dr. Carsten Krüger, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am St. Franziskus Hospital Ahlen, erläutert hierzu: „Um einen Vergleich mit anderen Ländern oder mit anderen Erkrankungen in Deutschland zu ermöglichen, müssen die absoluten Zahlen auf eine vergleichbare Bezugsgröße bezogen werden. Dazu eignet sich die Berechnung auf die Bezugsgröße von 100.000 Einwohnern. Dadurch wird der Einfluss unterschiedlicher Bevölkerungszahlen in den Ländern eliminiert.“

Die teils drastischen Änderungen, die sich durch diese Standardisierungsmethode ergeben, lassen sich gut an den drei Ländern mit den höchsten Fallzahlen demonstrieren. Die USA, Brasilien und Indien weisen die höchsten kumulativen Fallzahlen und Sterbefälle auf (Stand 20.12.2020), liegen aber bevölkerungsbezogen pro 100.000 Einwohner auf Platz 9, 34 und 105 für die Fallzahlen und auf Platz 13, 19 und 98 für die Sterberate. Dagegen belegt z.B. Belgien weltweit bei den Fallzahlen pro 100.000 Einwohner den achten, bei den Sterbefällen pro 100.000 Einwohner sogar den ersten Rang. Deutschland liegt in den entsprechenden Kategorien auf Rang 73 bzw. 63, für die absoluten Fallzahlen dagegen auf Rang 11 und die kumulativen Sterbefälle auf Rang 14.

In Deutschland ist es also, verglichen mit vielen anderen Nationen, bisher relativ gut gelungen, durch die verschiedenen Maßnahmen wie Einschränkungen der Kontakte, Abstandhalten, Maskentragen und Hygiene die Pandemie einigermaßen zu beherrschen. Die derzeitige kumulative Sterblichkeitsrate (Stand 23.12.2020) liegt bei etwa 1,8%. Berücksichtigt man noch die Zahl der nicht erkannten Infektionen, dürfte die reale Sterblichkeitsrate unter Berücksichtigung der ergriffenen Gegenmaßnahmen, die längst nicht in allen Ländern möglich sind, der hohen Qualität der medizinischen Versorgung und der Altersstruktur der Bevölkerung bei etwa 0,5-1% liegen.

Bisher beträgt der Anteil der an COVID-19 Verstorbenen an der Gesamtzahl der Todesfälle in Deutschland etwa 1,6% (Daten bis Kalenderwoche 47) und liegt damit in einer Größenordnung wie bei der bakteriellen Lungenentzündung. Auch die erhöhte altersabhängige Sterblichkeit ähnelt der bekannter Formen von Lungenentzündungen: bei über 80-jährigen liegt sie bei ca. 20%, bei über 90-jährigen bei ca. 25% (Daten bis Kalenderwoche 47).

Dazu Prof. Krüger: „Eine Übersterblichkeit gegenüber den Jahren 2016 bis 2019 lässt sich erst seit etwa der Kalenderwoche 44 erkennen, auch wenn während 2-3 Wochen im Frühjahr kurzfristig eine COVID-19-bedingte Übersterblichkeit plausibel erscheint. Bis Kalenderwoche 47 sind etwa 2% mehr Menschen im Jahr 2020 gestorben als im Durchschnitt des Vergleichszeitraums der Jahre 2016-2019. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass diese Ergebnisse unter den getroffenen Gegenmaßnahmen (Abstand, Hygiene, Maske, Kontaktreduzierung) erzielt worden sind.“

Warum macht es aber doch Sinn, die absoluten Zahlen zu berücksichtigen? Da mittlerweile in den meisten Industriestaaten relativ gut bekannt ist, wie viele Erkrankte im Verlauf ihrer COVID-19-Erkrankung eine Krankenhausbehandlung mit eventueller Intensivbehandlung benötigen, kann anhand der absoluten Zahlen in etwa abgeschätzt werden, ob das Gesundheitssystem die bevorstehende Inanspruchnahme neben der üblichen Versorgung bewältigen kann oder ob dafür Versorgungsangebote in anderen Bereichen reduziert werden müssen. Somit kann eine drastische Überlastung des deutschen Gesundheitswesens hoffentlich auch in Zukunft vermieden werden, auch wenn besonders die bekannten Personalengpässe in der Pflege Sorgen bereiten. Nichtsdestotrotz sind alle Bürger angehalten, an der Reduktion der Infektionen und Erkrankungen mitzuwirken.