Montag, 20.12.2021

Warum die allgemeine Impfpflicht gegen SARS-CoV-2 in der COVID 19-Pandemie alternativlos ist

BEITRAG von Privatdozent Dr. med. habil. Carsten Krüger · MIH, FRCPCH

Kinderarzt, Neonatologe, Kindergastroenterologe; Master of International Health; Medizinethik (Zertifikat der Ärztekammer Westfalen-Lippe)

Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin, Universität Witten-Herdecke
Alfred-Herrhausen-Straße 50, 58448 Witten
E-Mail: carsten.krueger(at)uni-wh.de


Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche
St. Franziskus Hospital
Robert-Koch-Str. 55, 59227 Ahlen
Tel.: 02382 858 966

E-Mail: carsten.krueger@sfh-ahlen.de

Erklärung zu Interessenkonflikten: Der Autor erklärt, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Hinweis: Der vorliegende Text gibt die privaten Ansichten des Verfassers und nicht unbedingt die seines Arbeitgebers wieder.

 

Einleitung


Seit die Infektionszahlen mit dem SARS-CoV-2-Virus in Deutschland wieder stark angestiegen sind, wird die Diskussion über eine generelle oder auch bereichsbezogene Impfpflicht gegen diese Virusinfektion auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen energisch, teils mit großer Schärfe, aber nicht selten mit nur geringer Sachkenntnis geführt. Unter dem Eindruck der sogenannten vierten Welle und der drohenden fünften (Omikron-) Welle scheint das Pendel in Richtung Befürwortung einer Impfpflicht auszuschlagen. Als wissenschaftlich tätigem Arzt ist es dem Autor wichtig, die Diskussion auf einer sachlichen Ebene zu führen und dadurch letztlich eine rationale Entscheidung für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in allen Altersgruppen zu ermöglichen. Eine emotional überfrachtete Debatte und polarisierende Wortwahl helfen in der jetzigen Situation nicht weiter.


Grundlegendes


Aus drei Gründen, die sich gegenseitig ergänzen können, werden Impfungen durchgeführt: zum eigenen Schutz vor einer Infektionskrankheit (Individualschutz), zum Schutz der Mitmenschen vor dieser Erkrankung (Fremd-/Populationsschutz bzw. Herdenimmunität) und mit dem Ziel, die Krankheit komplett auszurotten (Eradikation). Die ersten beiden Aspekte sind je nach Impfstoff und individueller Ausgangslage in ausreichend hohem Maße bei der Impfung gegen SARS-CoV-2 erreichbar, eine Eradikation wird sich aber nicht erzielen lassen (siehe unten).


Epidemiologische und biomedizinische Fakten


Nach über 20 Monaten Pandemie sind weltweit zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt worden, die für die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht grundlegend sind.


Das SARS-CoV-2-Virus ist auf eine zu 100% empfängliche, nichtimmune Weltbevölkerung getroffen. Es wird aufgrund seines Übertragungsmodus und seiner Angepasstheit an den menschlichen Wirt nicht mehr aus der weltweiten Bevölkerung zu eliminieren sein, zumal es ein oder mehrere tierische Erregerreservoire gibt. Nach allem, was wir wissen, ist die Delta-Variante des Erregers SARS-CoV-2 in etwa so ansteckend wie der Erreger der Windpocken (die Omikron-Variante scheint nach jetziger Datenlage noch deutlich ansteckender zu sein). Das bedeutet, dass sich jede nicht immune Person, egal welchen Alters, im Laufe der nächsten Wochen, Monate oder Jahre mit Sicherheit anstecken wird. Ob dies auch für bereits einmal infizierte Personen oder für Geimpfte gleichermaßen gilt, ist nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass sich ein großer Teil dieses Personenkreises erneut infizieren wird. Allerdings ist dann die Gefahr einer schweren Erkrankung oder sogar des Versterbens erheblich geringer als bei primär Nichtimmunen. Durch eine Impfung gelingt es nachweislich, ohne die Gefahren einer natürlichen, durch primäre Infektion erworbenen Immunität das Risiko in allen Patientengruppen deutlich zu senken, auch wenn es natürlich weiterhin in geringerer Zahl zu schweren Verläufen und Todesfällen kommen kann. Ohne eine durch Impfung erworbene (Teil-)Immunität kann man von einer Sterblichkeit von 0,5-1% ausgehen, was kumulativ weltweit 40-80 Millionen Todesfälle über die Zeit bedeuten würde.


Epidemiologisch betrachtet bedeutet dies, dass bei einer hohen Zahl an Geimpften eine populationsbezogene Immunität (nach derzeitigen Berechnungen ist dafür eine Impfquote von mindestens 90% erforderlich) mit Vermeidung oder starker Abschwächung einer COVID 19-Erkrankung erreicht werden kann, so dass es nicht zu einer übergroßen Zahl an gleichzeitig oder über die Zeit kumulativ schwer Erkrankten mit entsprechenden Todesfallzahlen kommt. In der Summe wird sich dadurch die Krankheits- und Sterbequote deutlich reduzieren lassen. Dieser Weg der Impfung ermöglicht es zudem, die Gruppen einigermaßen zu schützen, die nicht geimpft werden können: 1. weil es (noch) keinen Impfstoff für sie gibt (z.B. jüngere Kinder), 2. weil sie nicht geimpftwerden dürfen (z.B. wegen allergischer Reaktionen oder Schwangere im ersten Drittel der Schwangerschaft) und 3. weil bei ihnen die Impfung nicht anschlägt (z.B. Tumorpatienten).


Je weniger empfängliche Personen in einer Population leben, desto geringer ist das Risiko, dass sich Nichtimmune noch anstecken können. Ferner hat der Erreger dadurch weniger Gelegenheit, sich zu vermehren und dabei zu mutieren. Da Pandemien per Definition global ablaufen und über die Atemwege leicht übertragbare Viren nicht an Grenzen haltmachen, auch nicht bei Reiseverboten, trägt eine hohe Impfquote in vielen Ländern dazu bei, dass sich die globale Verbreitungs- und Mutationsrate mit der Zeit deutlich senken lässt. Die NO-COVID-Strategie, die von Ländern wie Australien, Neuseeland und einigen asiatischen Staaten eine Zeitlang durchgeführt wurde, konnte nur aufgrund der geographischen Besonderheiten und rigoroser Abschottungsmaßnahmen halbwegs gelingen, war bzw. ist (China, Japan) aber letztlich politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und epidemiologisch nicht durchzuhalten. Auch eine ähnliche Strategie, die ZERO-COVID-Variante, operiert mit ausgeprägten Einschränkungen, die sich jedoch nicht isoliert in einem Land durchsetzen lassen, da gerade auf dem europäischen, aber auch den anderen Kontinenten eine erhebliche transnationale Mobilität existiert, welche selbst für kurze Zeiträume von wenigen Wochen kaum einzufrieren ist. Einzig können diese Strategien dazu dienen, Zeit zu gewinnen, in der die Impfungen massiv vorangetrieben werden. Diese Chance ist jedoch in vielen Ländern nicht genutzt worden.


Ohne eine hohe Impfquote wird sich SARS-CoV-2 immer wieder in Wellen in der Population ausbreiten, in Europa wohl am ehesten bevorzugt in der kühleren Jahreszeit. Das Ausmaß dieser Wellen lässt sich nur bedingt voraussagen, würde aber in der Summe mit Sicherheit mehr Erkrankungen und Todesfälle bedeuten. Erst nach einigen Jahren wäre eine Population ausreichend immun, so dass sich fast nur noch kleinere Kinder anstecken könnten, die noch keinen Kontakt hatten und nach derzeitigen Erkenntnissen fast ausschließlich milde Verläufe zeigen. Damit würde die Pandemie über epidemische Ausbrüche in ein endemisches Stadium übergehen. Genau diesen Weg hat die Menschheit in der Auseinandersetzung mit den bereits endemischen Coronaviren sowie teilweise Pocken, Influenzaviren, Masern, Windpocken und anderen Infektionskrankheiten beschritten. Eine allgemein verpflichtende Impfung, vermutlich mit (jährlichen?) Auffrischimpfungen über 5-10 Jahre, kürzt ohne die erheblichen Nachteile der Wildinfektion dieses Stadium signifikant ab und wird zahlreichen Menschen das Leben retten.


Die eindeutigen biomedizinischen und epidemiologischen Vorteile einer hohen Impfquote müssen selbstverständlich gegen mögliche gesundheitliche Risiken der Impfungen abgewogen werden. Für deren Beurteilung kann mittlerweile auf eine sehr große Zahl an Impfungen mit sehr guter Überwachung zurückgegriffen werden. Zumindest für die in Europa zugelassenen Impfstoffe lässt sich mit Sicherheit sagen, dass die schwerwiegenden Nebenwirkungen der Impfstoffe (Thrombosen, Allergien, Herzmuskelentzündungen, ggf. Todesfälle) im Vergleich zu den Komplikationen der Erkrankung deutlich seltener auftreten und fast immer günstiger verlaufen. Nach über einem Jahr Impferfahrung gibt es keine Hinweise auf andere, sogenannte spät auftretende Langzeitnebenwirkungen, und die milden lokalen Impfreaktionen sind wie bei anderen Impfungen gut beherrschbar. Zudem treten nach Impfungen keine krankheitsbedingten Folgen wie Long-/Post-COVID oder Immunreaktionen (im Kindesalter z.B. PIMS/MIS-C) auf.


Belastung des Gesundheitssystems und der Bevölkerungsgesundheit


Allgemein bekannt sollte sein, dass ca. 4-7% aller mit SARS-CoV-2 infizierten Personen im Verlauf stationär aufgenommen und teils intensivmedizinisch (20-30%) behandelt werden müssen. Die Sterbequote, gerechnet auf die Infektionszahlen inklusive der Dunkelziffer, liegt immer noch bei 0,5-1%, je nach Patientengruppe und medizinischem Versorgungsniveau. Dies führt bei einer hohen Zahl an gleichzeitig Infizierten zu einer enormen Belastung des Gesundheitssystems. Allerdings leiden darunter ebenso Patienten mit anderen Erkrankungen, die akut eintreten (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall, Unfall) oder chronisch verlaufen (z.B. Diabetes, Bluthochdruck, Krebs). Es gibt aus allen Industrienationen belastbare Daten, die zeigen, dass diese Patientengruppen zeitweise nicht mehr ausreichend versorgt werden können und somit die Krankheitslast und Sterberaten bei ihnen ebenso ansteigen. Immer wieder wird in dem Zusammenhang über die Einführung eines Triagesystems diskutiert. Dabei wird vergessen, dass eine stille Triage bereits stattfindet und dass sich diese Situation durch eine frühzeitig eingeführte allgemeine Impfpflicht hätte verhindern oder zumindest minimieren lassen.


Psychosoziale Aspekte


Die psychosozialen Folgen der Pandemie sind gewaltig, werden aber gerne in der öffentlichen Diskussion und der Politik vernachlässigt. Die Kontaktbeschränkungen haben zu einer zunehmenden Vereinsamung vieler Menschen geführt. Für das Erwachsenen- und Kindesalter liegen mittlerweile belastbare Daten vor, die die Vorhersagen bestätigen, dass psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen massiv zugenommen haben (z.B. COPSY-Studie der Universität Hamburg). Fachkräfte aus Psychologie und Psychiatrie schlagen Alarm und sprechen in diesem Zusammenhang ebenso von einer bereits begonnenen Triage: sie müssen aufgrund begrenzter Ressourcen auswählen, wer dringlich behandelt werden und wer warten muss, teils bis zu einem Jahr.


Die Auswirkungen von Maßnahmen wie Lockdown oder digitalem Unterricht auf die frühkindliche und schulische Bildung (und Psyche) sollten allen mittlerweile bekannt sein. Dass dadurch die familiären Strukturen, besonders in bildungsfernen Schichten, über Maßen strapaziert worden sind, wird oft übersehen. Langzeitprognosen gehen von einer Verdopplung der Schulabbrecherquoten aus. Was dies für das Individuum und die Gesellschaft in Zukunft bedeutet, lässt sich unschwer erahnen.


Seit Beginn der Pandemie und fortdauernd durch wissenschaftlich nicht begründbare Verordnungen kommt es zu zahlreichen Fällen, bei denen Schwerstkranke, sei es durch COVID-19 oder andere Krankheiten verursacht, aufgrund von Kontaktverboten einsam versterben. Wer meint, dass digitales Abschiednehmen auch nur ansatzweise ein Ersatz sein könnte, um dieses unendliche Leid zu mildern, möge sich wünschen, dass sie/er nicht in eine solche Situation komme. Die Schriftstellerin Thea Dorn hat in einem Essay in der Zeit vom 8. April 2020 eindringlich darauf hingewiesen, dass es etwas viel Schlimmeres als den Tod gibt: den elenden, weil einsamen Tod! Ebenso wird das medizinische und pflegerische Personal damit über seine Grenzen hinaus mit einer Situation dauerbelastet, die sich durch humane Entscheidungen und flankierende Hygienemaßnahmen komplett vermeiden ließen. Bis heute scheinen Verantwortliche in Politik, Gesellschaft und den Einrichtungen dies nicht begriffen oder wahrgenommen zu haben.


Juristische Überlegungen eines Laien


In der Diskussion um eine bereichsbezogene oder allgemeine Impfpflicht werden immer wieder Grundrechte angeführt, namentlich das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S.1 GG) und das Grundrecht auf Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S.2 GG). Dabei wird gerne übersehen, dass in Art. 2, Abs. 1 GG, also noch vor den zuvor genannten Rechten und sicher nicht unbeabsichtigt, festgelegt ist, dass dies nur gilt, solange nicht die Rechte anderer verletzt werden. Biomedizinisch gesehen ist es aber eindeutig, dass die SARS-CoV-2-Infektion von einer auf eine andere Person übertragen wird, so dass das jeweilige Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit potenziell massiv durch eine andere Person gefährdet werden kann (wenn auch nicht muss).


Den zahlreichen Kritikern einer Impfpflicht ist beizupflichten, dass Maßnahmen wie die 2G (plus)- oder 3G (plus)-Regeln auf indirektem Wege beabsichtigen, die Impfbereitschaft durch subtilen oder offensichtlichen Druck zu erhöhen. Ob man dies noch in den Bereich des „Nudgings“ (durch äußere positiv oder negativ besetzte Maßnahmen die Entscheidung in die erwünschte Richtung lenken) einordnet oder schon unter den Begriff „indirekte Pflicht“, ist sicher schwer zu entscheiden. In jedem Fall versuchen die verantwortlichen Institutionen (Regierungen in Bund und Ländern, Parlamente) damit, den Eindruck zu erwecken, die Gesellschaft könne sich nach wie vor frei zwischen verschiedenen Alternativen entscheiden. Doch je umfassender die Regeln in den Alltag nicht geimpfter, nicht genesener und/oder nicht getesteter Personen eingreifen, desto weniger kann von einer noch freien Entscheidung ausgegangen werden. Eine allgemeine Impfpflicht würde für alle Bürger klar erkennen lassen, welche Pflicht ihnen auferlegt wird.


Etliche Juristen, Politiker und Teile der Gesellschaft gehen davon aus, dass eine allgemeine Impfpflicht nicht oder nur unter ganz großen Problemen mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Die Pockenimpfpflicht wurde gesetzlich 1807 im Königreich Bayern eingeführt und in der Folge sowohl vom Kaiserreich, von der Weimarer Republik, dem Unrechtsregime des Dritten Reiches (hier zeitweise ausgesetzt) und letztlich von der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland, dann auf dem Boden des Grundgesetzes, übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 14. Juli 1959 (Az. I C 170/56) die Pockenimpfpflicht als rechtmäßig und mit dem Grundgesetz vereinbar eingestuft, auch wenn in geringem Maße durch die Pockenimpfung selbst schwere Schäden bis hin zum Tod verursacht werden konnten. Erst 1983 wurde die Impfpflicht endgültig abgeschafft, allerdings nur, weil die Pocken zu dem Zeitpunkt ausgerottet waren! Prinzipiell kann also eine Impfpflicht auf dem Boden des Grundgesetzes erlassen werden.


Kritiker wenden ein, dass dies eine altersbeschränkte Impfpflicht gewesen sei. Dies ist faktisch nicht korrekt, da die Impfpflicht für das Kindesalter (erste Impfung bis zum Alter von 1 Jahr, Auffrischimpfung mit 12 Jahren) über einen so langen Zeitraum bestand (> 100 Jahre), dass de facto die gesamte Bevölkerung bis zum Ende der Impfpflicht 1983 immunisiert war. Interessant, aber wenig berücksichtigt ist in diesem Zusammenhang ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags aus dem Jahr 2016 (WD 3 - 3000 - 019/16). Hierin wird eine allgemeine Impfpflicht aus juristischer Sicht betrachtet. Deren Einführung müsste mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Dies wäre gewährleistet, wenn damit ein legitimes Ziel verfolgt wird und der Eingriff ferner geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das legitime Ziel des Schutzes der Gesundheit durch die Impfung ist nach allem, was wir wissen, sicher gegeben. Die Impfung ist auch das geeignete Mittel zur Zielerreichung im Falle der COVID-19-Pandemie. Dem Grundsatz der Erforderlichkeit wäre Genüge getan, da die Aufrufe und Empfehlungen zur freiwilligen Impfung bisher nicht zielführend waren und eine sichere Therapiemöglichkeit, die vor schwerer Erkrankung, Langzeitfolgen und Tod schützt, bisher nicht existiert. Bei den bekannten, oben nochmals aufgeführten massiven Gefahren für Leib und Leben durch den Erreger wäre das letzte Kriterium der Angemessenheit zumindest so lange erfüllt, bis auf Populationsebene eine ausreichende Immunität erreicht ist, so dass schwere Erkrankungen und Todesfälle nur noch selten auftreten.


Die allgemeine Impfpflicht ist zudem gerecht, da sie alle Bürger von Geburt bis in das hohe Alter einschließt und nur aus medizinischen Gründen eine Impfung nicht erfolgen darf. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da eine bereichsbezogene Impfpflicht den Eindruck hinterlässt, dass in diesen Arbeits- und Lebensbereichen die Ursache für das Andauern der Pandemie zu suchen ist. Eine zumindest unterschwellige Schuldzuweisung steht damit im Raum. Diese würde dem gesellschaftlichen Zusammenhalt noch mehr schaden.
 

Es sei noch der Hinweis auf das 2020 eingeführte, aktuell geltende Masernschutzgesetz erlaubt, durch das für Kinder und Personen in bestimmten Berufen eine Impfpflicht erlassen wurde. Sollte dieses vor dem Bundesverfassungsgericht endgültig Bestand haben, so ist schwer vorstellbar, wie aus juristischer Sicht gegen eine allgemeine Impfpflicht bei COVID-19 argumentiert werden könnte. Die Fallzahlen der SARS-CoV-2-Pandemie liegen um ein Vielfaches höher als bei jeglicher Masernepidemie der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland, die prozentualen und absoluten Todeszahlen und langfristigen Komplikationen ebenso.


Ethische Argumente


Die derzeitige Diskussion dreht sich immer wieder um den Begriff der Freiheit bzw. Autonomie. Auf Unterschiede dieser beiden Begriffe soll hier nicht eingegangen werden, wohl aber auf die Deutung von Freiheit in unserer Gesellschaft. Freiheit wird in der Regel als Freiheit von etwas oder jemandem angesehen (individuelle Sichtweise, negativer Freiheitsbegriff), nicht als Freiheit zu etwas oder jemandem (Beziehungsdeutung, positiver Freiheitsbegriff). Damit gehen die meisten Gruppen in unserer ‘postmodernen‘ Gesellschaft von einem aus ihrer Sicht liberalen, aber im ethischen und philosophischen Kontext doch eher libertären Freiheitsbegriff aus. Dieser besagt, dass man nur sich selbst gegenüber verantwortlich ist und sonst niemandem, auch nicht den Mitmenschen und schon gar nicht dem Staat gegenüber, eine Pflicht oder ein bestimmtes Verhalten schuldet, selbst wenn durch dieses Handeln oder Unterlassen (hier keine Impfung) eine relevante Gefahr für andere entsteht (M. Kowalik. Ethics of vaccine refusal. J Med Ethics 2021; 0: 1-4. doi:10.1136/medethics-2020-107026). Dabei übersieht diese Position, dass es gerade ein funktionierendes Staatswesen ist, die ihr diese Maxime überhaupt ermöglicht, und dass sie damit massiv in die Freiheit des anderen eingreift.
 

In der Überhöhung dieses negativen Freiheitsbegriffs (von etwas) spiegelt sich auch eine Grundproblematik der Medizinethik wider. Mit der Einführung der vier Prinzipien der Medizinethik (sogenannte Prinzipien mittlerer Reichweite) Autonomie („respect for autonomy“), Schadensvermeidung („non-maleficence“), Fürsorge („beneficence“) und Gerechtigkeit („justice“) (z.B. T.L. Beauchamp, J-F. Childress. Principles of Biomedical Ethics. Oxford University Press, 7. Auflage 2013) hat sich die Diskussion immer mehr verschärft, wie diese vier Prinzipien im praktischen Alltag anzuwenden seien. Dabei ist der Autonomie zunehmend der Vorrang eingeräumt worden, so dass gegen die Autonomie des Einzelnen keine Maßnahmen ergriffen werden sollen. 


Wendet man sich jedoch dem positiven Freiheitsbegriff zu, der davon ausgeht, dass Freiheit nur in Beziehung zum anderen gelingen kann und immer nur begrenzt verfügbar ist, so nähert man sich rasch dem Kantischen Verständnis von Freiheit und Autonomie im Rahmen seiner Gesinnungsethik. Das Wort Autonomie stammt vom griechischen „autos“ (selbst) und „nomos“ (Gesetz) ab. In der Antike bezeichnete es die politische Selbstgesetzgebung einer freien Bürgerschaft gegenüber einem Herrscher. In der Neuzeit definierte Immanuel Kant diese mit seinem kategorischen Imperativ als an Vernunft und Recht orientierte Freiheit, als die Fähigkeit zur rationalen Planung des eigenen Wollens, eingebunden in soziale und rechtliche Bezüge (I. Kant (1785). Grundlagen zur Metaphysik der Sitten. Vandenhoeck & Ruprecht 2004). Autonomie und Freiheit in diesem Sinne ist nicht nur freie vernünftige Tat, sondern ereignet sich immer auch in Relationalität. Die Endlichkeit des Menschen bedingt Beschränkung der Freiheit: sie ist relativ, es stehen nur eine begrenzte Zahl an Optionen zur Verfügung, und Entscheidungen bedeuten immer auch Verzicht. Fairness gegenüber den Mitmenschen mit den geringsten Freiheitschancen ist dabei zentrales Bestimmungselement positiv verstandener Freiheit (kollektive Freiheit). Wendet man dieses Freiheitsverständnis auf die derzeitige Diskussion zur Impfpflicht an, so kommt man zu dem logischen Schluss, dass ein positives Freiheitsverständnis nachgerade eine Impfpflicht fordern muss. Und nebenbei lassen sich daraus die anderen drei Prinzipien der Medizinethik gut ableiten und stehen sich dann nicht mehr konfrontativ gegenüber (S. Reis-Dennis. Understanding Autonomy: An Urgent Intervention. Journal of Law and the Biosciences 2020; 1-10; doi:10.1093/jlb/lsaa037).

Im Konsequentialismus, dessen prominentester und bekanntester Vertreter der klassische Utilitarismus mit dem Ziel der Maximierung des Wohlbefindens ist, gibt es im Übrigen kaum bis keine Gründe gegen eine Impfpflicht. Aufgrund der bekannten positiven Auswirkungen der Impfung mit nur geringem Risiko bei einzelnen Personen kann man in diesem ethischen Ansatz davon ausgehen, dass eine Maximierung des Gesamtwohlbefindens der Bevölkerung (hier Ausbleiben einer schweren COVID-19-Erkrankung oder Tod) problemlos zu erreichen ist (A. Giubilini, T. Douglas, J. Savulescu. The moral obligation to be vaccinated: utilitarianism, contractualism, and collective easy rescue. Medicine, Health Care and Philosophy 2018; 21: 547-560). Dieser Ansatz ist überwiegend im angloamerikanischen Kontext anzutreffen und spielt vielleicht deswegen bei uns in der gegenwärtigen Diskussion keine große Rolle.


Die Verantwortungsethik, die von Max Weber im philosophischen Umfeld und von Dietrich Bonhoeffer im christlichen Bereich formuliert wurde, enthält sowohl Elemente des Utilitarismus als auch der Gesinnungsethik. In diesem Kontext drängt sich eine Impfpflicht nachgerade auf.


In Philosophie und Ethik gibt es namhafte Vertreter, die in einem Gemeinwesen von einer „Pflicht zur einfachen Rettung“ ausgehen (A. Giubilini et al., siehe oben). Dies bedeutet, dass eine Person sich um das Wohlergehen eines anderen kümmern muss, wenn die eigene Integrität dadurch nicht in übermäßigem Umfang beeinträchtigt oder gefährdet ist. Im Falle der Impfung gegen das Coronavirus kann man davon ausgehen, dass die Impfung ausreichend sicher und wirksam ist, so dass ihr Einsatz dem Wohlergehen des anderen (und sogar der eigenen Person) dient. Dennoch ist dieser Ansatz anscheinend in Vergessenheit geraten. Ein wenig erinnert die derzeitige Diskussion an die Problematik des Kontraktualismus (J. Rawls. Eine Theorie der Gerechtigkeit. Suhrkamp 1979). Im Grunde können sich (fast) alle darauf einigen, dass eine Maßnahme oder Regel sinnvoll ist. Aber wenn sich die Mehrheit daran hält (hier Impfung), kann sich eine Minderheit erlauben bzw. meint zu können, implizit oder explizit diese Maßnahme für sich abzulehnen (Problem des Trittbrettfahrers). 


In der Summe verweist die ethische Diskussion um die Impfpflicht auf ein grundlegendes Problem sog. (post-)moderner Gesellschaften: alle Beteiligten fordern ihre (meist legitimen) Rechte ein, vergessen aber, dass sie genauso gegenüber dem Anderen Pflichten haben. Wie die Philosophin Onora O'Neill in zahlreichen Aufsätzen, zuletzt in einem Artikel am 10. November 2021 auf Zeit Online, ausführte, bedingen Rechte in den meisten Fällen auch Pflichten. Allgemeine Menschenrechte oder die Grundrechte des Grundgesetzes sind wichtig und richtig, aber ohne das Wissen um eigene Pflichten bleiben sie unvollständig. Weil sich aber der Blick von den Pflichten im 20. Jahrhundert auf die Individualrechte verschoben hat, haben Appelle von Politik und gesellschaftlichen Institutionen, dass jeder Bürger eine moralische Impf-„Pflicht“ hat, kein Gehör gefunden. Somit bleibt wohl nur eine rechtliche Regelung der Impfpflicht.


Ein Wort noch zu den weltanschaulichen Positionen wie Atheismus, Materialismus, Naturalismus und den großen Weltreligionen wie Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus oder Hinduismus. Für die areligiös begründeten Weltanschauungen kann keine einheitliche Position benannt werden, da sich hier das gesamte Spektrum des gesellschaftlichen Meinungsbildes wiederfindet. Hingegen haben alle drei monotheistischen Religionsgemeinschaften (Christentum, Islam, Judentum) eindeutig eine Impfung zur Beendigung der Pandemie befürwortet. Es gibt zumindest in Deutschland keine ernstzunehmende Stimme aus diesem Bereich, die sich gegen eine Impfung ausgesprochen hat. Vielmehr wird gerade aus religiöser Überzeugung der Standpunkt vertreten, dass aus Liebe zum und Für-Sorge um den Nächsten sowie für die eigene Person eine Impfung dringend geboten ist.


Ökologische Gesichtspunkte


Mit einer allgemeinen Impfpflicht, vorzugsweise weltweit, könnten enorme Belastungen der Umwelt vermieden und Unmengen an Rohstoffen eingespart werden. Laut chinesischen Forschern sind bis August 2021 allein 8,4 Millionen Tonnen Plastikmüll in der Coronapandemie in 193 Ländern der Erde angefallen (PNAS 2020: DOI: 10.1073/pnas.2111530118). Wenn man sich vor Augen führt, wie viele weitere Produktions- und Verbrauchsgüter für die Bekämpfung der Pandemie und die Behandlung der Erkrankten erforderlich sind und sein werden, kann man sich leicht ausmalen, dass eine gezielte, koordinierte Impfkampagne im Rahmen einer allgemeinen Impfpflicht zu enormen Einsparungen führen würde. Im Rahmen des wachsenden Bewusstseins zur Endlichkeit unserer planetaren Ressourcen und zur wachsenden Umweltbelastung und dem damit verbundenen Klimawandel, der die nachfolgenden Generationen massiv belasten wird, darf dieser Aspekt bei den Überlegungen zur Impfpflicht gerade aus ethischer Perspektive nicht nachrangig behandelt werden.


Ökonomische Aspekte


Die Schutzmaßnahmen gegen die Ausbreitung der Pandemie haben zu gigantischen Verwerfungen in der Wirtschaft geführt, die hier nur ansatzweise genannt werden können. Ganze Wirtschaftszweige waren und sind teilweise zum Stillstand gekommen (z.B. Gastgewerbe, Kulturbereich, internationaler Handel und Transport). Immer wieder kommt es zu neuen Einschränkungen aufgrund der Pandemiesituation. Privatinsolvenzen, aber auch Firmeninsolvenzen nehmen zu. Ein massiver Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland konnte nur deshalb einigermaßen verhindert werden, da über das Instrument der Kurzarbeit viele Arbeitnehmer mittels staatlicher Finanzierung ihren Arbeitsplatz behalten konnten. Lieferketten sind teilweise zusammengebrochen und sorgen für anhaltende Störungen beim Wiederaufbau der Wirtschaft.
 

Bis Ende November 2021 hat allein die Bundesregierung 127,6 Milliarden Euro Coronahilfen bewilligt bzw. ausgezahlt. Dazu kommen etliche Milliarden aus Länder- und kommunalen Mitteln. Weltweit belaufen sich die Aufwendungen bisher laut OECD auf unvorstellbare ca. 10 Billionen Dollar. Diese gigantischen Summen täuschen aber darüber hinweg, dass fast ausschließlich die Industriestaaten in der Lage waren, ihre eigene Wirtschaft zu stützen, die Entwicklungs- und Schwellenländer jedoch erhebliche zusätzliche ökonomische Belastungen erfahren.


Diese Summen können nicht dauerhaft aufgebracht werden, auch nicht von den größten und stärksten Wirtschaftssystemen der Welt. Die immensen Schulden müssen dann die nachfolgenden Generationen tragen. Eine Bürde, die kaum zu schultern sein wird. Die OECD schätzt zudem, dass sich die Kosten der Impfung der gesamten Weltbevölkerung auf etwa 50 Milliarden Dollar belaufen würden. Dies entspricht 0,5% der bisherigen Aufwendungen. Auch dies ist ein wichtiges, in diesem Fall utilitaristisches Argument für eine allgemeine, weltweite Impfpflicht.


Globale Auswirkungen der Pandemie


Alle internationalen Organisationen und zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer berichten von verheerenden indirekten Auswirkungen der Pandemie. Die ohnehin fragilen staatlichen Gesundheitssysteme sind auf eine zusätzliche Belastung wie die COVID-19-Pandemie nicht vorbereitet. Schwangerenvorsorge und Geburtshilfe, Kindergesundheits- und nationale Impfprogramme waren bzw. sind kaum noch funktionsfähig. Millionen Kinder werden nicht zeitgerecht oder überhaupt nicht ihre Impfungen erhalten; die Fälle an Masern nehmen bereits stark zu. Allein in Afrika könnten pro Jahr zusätzlich bis zu 1 Millionen Kinder unter 5 Jahren und über 50000 Frauen in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett sterben. Malaria-, HIV/AIDS- und Tuberkulose-Programme funktionieren nicht mehr, dies führt zu einem Wiederanstieg bei diesen Erkrankungen. Der Stopp globaler Produktions- und Lieferketten verhindert die ausreichende Einfuhr von dringend benötigten Medikamenten, Impfstoffen, medizinischen Geräten und Verbrauchsgütern.


Die unkritische Übernahme der Lockdown-Maßnahmen aus den Industriestaaten hat dazu geführt, dass Millionen von Tagelöhnern und Slumbewohnern unvermittelt ohne Einkommen waren. UNICEF geht davon aus, dass mehr als 100 Millionen Kinder zusätzlich in bitterste Armut abgerutscht sind. Da den meisten dieser Menschen keine soziale Absicherung zur Verfügung steht und ihre Regierungen keine Staatshilfen leisten (können), drohen ihnen Armut, Hunger und Tod. Das Welternährungsprogramm der UN geht davon aus, dass sich die Zahl der akut vom Hungertod bedrohten Menschen durch die Pandemie von 130 auf 265 Millionen verdoppelt.


Im April 2020 konnten 1,6 Milliarden SchülerInnen (85%) in 166 Ländern nicht die Schule besuchen. Immer noch halten mehr als 20 Länder die Schulen komplett bzw. teilweise geschlossen oder schließen sie in Anbetracht steigender Zahlen erneut (siehe auch Deutschland!). Die UNESCO, OECD und Bildungswissenschaftler warnen vor einer verlorenen Generation, zumal viele Kinder gar nicht mehr in die Schulen zurückkehren werden. Durch die Schulschließungen entfällt für 370 Millionen Kinder ihr Schulessen. Häusliche Gewalt in beengten Wohnungen, unter Jugendlichen, psychische Belastungen sowie Drogenkonsum nehmen zu, ebenso Kinderarbeit, Verheiratung von Kindern und Teenagerschwangerschaften (C. Krüger et al. Folgen von SARS-CoV-2: Kollateralschäden der Pandemie. Deutsches Ärzteblatt 2021; 118: A 91-2).


Praktische Aspekte einer allgemeinen Impfpflicht


Häufig wird aus soziologischer, psychologischer und politischer Sicht argumentiert, dass eine allgemeine Impfpflicht zu einer noch stärkeren Ablehnung der Coronavirus-Impfung und anderer Impfungen führen würde. Dieses Argument trifft vermutlich auf den harten, wortgewaltigen, aber zahlenmäßig doch kleinen Kern der Impfgegner und Verschwörungstheoretiker zu, die einem fest gefügten Weltbild folgen und sich darin kaum mit sachlichen Argumenten erreichen lassen.


Dennoch zeigen historische und wissenschaftliche Erfahrungen aus anderen Ländern und Deutschland, dass sich Personen, die aus verschiedenen Gründen zögern oder aus praktischen Umständen nur schwer erreichen lassen, oft für eine Impfung entscheiden, wenn sie ihnen ermöglicht und verbindlich angeboten wird. Persönliche, mit einem verpflichtenden Termin versehene Einladungen an alle Bürger könnten bereits einen erheblichen Anteil der bisher Ungeimpften nach Beratung dazu bewegen, sich dann doch impfen zu lassen. Komplementieren müsste man diese verpflichtenden Termine durch mobile Impfangebote, besonders in Brennpunkten, bei denen aber auf die umfassende Durchimpfung aktiv geachtet werden müsste. Der Aspekt der Verbindlichkeit auf beiden Seiten (Impfdurchführende, Impflinge) schafft in der Regel das notwendige Vertrauen, so dass sich die Zahl der Impfungen signifikant steigern lässt (siehe z.B. C. Betsch et al. Einführung einer Impfpflicht: Eine politische Entscheidung. Deutsches Ärzteblatt 2021; 118(49): A-2312-2316). Dazu benötigt das deutsche Gesundheitswesen aber eine deutlich verbesserte Datenlage über den Impfstatus der Bevölkerung. Dies lässt sich letztlich nur durch eine Aufwertung und Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens erreichen, wie es bis in die 70er, 80er Jahre in der BRD und ebenso in der damaligen DDR der Fall war.


Bei anhaltender Impfverweigerung wäre eine den individuellen ökonomischen Umständen entsprechende Geldbuße ein adäquates Instrument der Sanktionierung. Höhere Beiträge zur Krankenversicherung wären eine weitere denkbare Sanktionsalternative. Mit körperlichem Zwang durchgeführte Impfungen sind abzulehnen. Neben der Geldbuße müssten aber bestimmte Personen je nach beruflicher Tätigkeit mit dem Ausschluss von bestimmten Tätigkeitsfeldern (z.B. im Gesundheitswesen) rechnen.


Konklusion


Unter Abwägung aller Vor- und Nachteile einer Impfpflicht bei COVID-19 gibt es aus Sicht des Autors auf allen Ebenen gewichtige, ja zwingende Gründe, die für die unmittelbare Einführung einer generellen Impfpflicht in allen Altersgruppen sprechen. Selbst in der frühen Phase um den Jahreswechsel 2020/2021, in der noch nicht genügend Impfstoff für die ganze Bevölkerung bereitgestellt werden konnte, wäre eine allgemeine Impfpflicht geboten gewesen, da dann wenigstens in den priorisierten Bevölkerungsgruppen, die auch das qualitativ und quantitativ höchste Risiko einer schweren Erkrankung tragen, frühzeitig ein sehr hoher Impfschutz hätte erreicht werden können.


Leider haben bisher weder Politik, Gesellschaft noch das Rechtswesen realisiert, dass es sich bei der Impfpflicht aus obigen Gründen nicht um die letztmögliche Maßnahme handelt, um der Pandemie und deren Folgen Herr zu werden. Vielmehr wäre es erforderlich gewesen, unter Berücksichtigung einer sachlichen Herangehensweise die Impfpflicht so früh wie möglich (Ende 2020, Anfang 2021) einzuführen, um eben gerade all die anderen, mit schweren Folgen für Persönlichkeitsrechte, Gesundheit, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur verbundenen Effekte zu vermeiden bzw. zumindest abzumildern.

 

Aus ethischer Perspektive ist im Übrigen staatliches Handeln (Impfpflicht ja) und Unterlassen (Impfpflicht nein) genauso rechtfertigungspflichtig wie gesellschaftliches und individuelles Handeln und Unterlassen!


Weitere Literatur auf Anfrage.

 

Mehr Infos zur Empfehlung der allgemeinen Impfpflicht vom Deutschen Ethikrat finden Siehier

ad-hoc-empfehlung-allgemeine-impfpflicht.pdf (ethikrat.org)